Bilderklau ist leider ein Massenphänomen: Fotos werden von Webseiten runtergeladen, ohne zuvor eine Lizenz des Rechteinhabers einzuholen, und anderweitig verwendet, teils sogar ohne Urhebervermerk. Wenn die Nutzung auf einer anderen Webseite erfolgt, hat zunächst durch das Runterladen und auf einen Server kopieren technisch eine Vervielfältigung stattgefunden, § 16 UrhG. Durch das Hochladen auf eine andere Webseite liegt eine Internetveröffentlichung vor, man spricht auch von Online-Zugänglichmachung, § 19a UrhG. Wenn eine Rechtsverletzung vorliegt, dann kann der Rechteinhaber (Fotograf oder Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte) dagegen vorgehen und Auskunft, Unterlassung und Schadensersatz fordern, § 97 UrhG. Vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens (einstweiliger Rechtsschutz oder Klage) soll der Verletzte abmahnen und eine Unterlassungserklärung mit einer angemessenen Vertragsstrafe fordern, § 97a UrhG.
Bilderklau im Schülerreferat
So weit, so gut, dachte jedenfalls auch der Berufsfotograf Dirk Renckhoff, als er ein von ihm aufgenommenes Foto der Stadt Cordoba auf der Webseite einer Schule der Stadt Waltrop wiederfand und rechtlich gegen den Fotoklau vorging. Das Foto hat er für ein Reiseportal lizenziert. Von der Seite des Reiseportals hat es eine Schülerin zur Bebilderung eines Referates in der Spanisch-AG runtergeladen. Das wäre wohl nicht weiter aufgefallen, wenn das Referat nur schulintern geblieben und nicht online gestellt worden wäre. Das Foto scheint auch nur zur Illustration verwendet gewesen zu sein, ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Foto stattfand oder es als Beleg für eine Aussage im Referat diente. Ansonsten wäre vermutlich das Zitatrecht, § 51 UrhG, als Rechtfertigung in Betracht gekommen. Immerhin war die Reisewebseite als Quelle angegeben, § 63 UrhG; jedoch fehlte der Name des Urhebers, § 13 UrhG (Urhebervermerk).
Klage auf Schadensersatz
Herr Renckhoff verklagte das Bundesland Nordrhein-Westfalen als Träger der Gesamtschule auf Auskunft, Unterlassung und 930,- Euro Schadensersatz (nach der Liste für Bildhonorare der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing inkl. 100% Zuschlag wegen fehlendem Urhebervermerk) und bekam vom Landgericht Hamburg 300,- Euro zugesprochen (LG Hamburg, Urteil vom 22. Januar 2013, Az. 310 O 27/12). Das LG erkannte die MFM-Honorarübersicht, welche jährlich aktualisiert wird, als Grundlage zur Schadensersatzberechnung bei einem Berufsfotografen an, der sich auf diese in seinen AGB beruft und sich in seinen Rechnungen daran orientiert. Allerdings lag eine redaktionelle Nutzung durch eine Schule vor. Diese konkrete Nutzungsform ist in der MFM-Honorarübersicht nicht abgebildet. Das Gericht schätzte daraufhin den Lizenzschaden auf 200,- Euro und den durch den fehlenden Urhebervermerk entgangenem Werbewert auf 100.- Euro (also 50% statt 100% wegen des fehlendem Urhebervermerks). Der Verweis auf die Webseite des Reiseportals als Quelle genügt nicht, um den Anspruch auf Urhebervermerk nach § 13 UrhG zu erfüllen.
Berufung vor dem Oberlandesgericht Hamburg
Beide Parteien legten Berufung vor dem Oberlandesgericht Hamburg ein. Das OLG Hamburg sprach der Fotografie Urheberrechtsschutz zu, § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG, zumindest aber Leistungssschutzrecht für ein Lichtbild, § 72 Abs. 1 UrhG, und sah das Vervielfältigungsrecht, § 16 UrhG, und das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung, § 19 UrhG, verletzt. Das gelte auch dann, wenn die Fotografie für jedermann ohne technischen Schutz auf einer Webseite, wie der des Reiseportals, online abrufbar war. Durch die weitere Veröffentlichung des Fotos auf dem Webserver der Schule ist es zu einer Entkopplung von der ursprünglichen Veröffentlichung gekommen.
Vom Bundesgerichtshof (BGH) zum Europäischen Gerichtshof (EuGH)
Der BGH setzte das Gerichtsverfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob auch dann eine öffentliche Zugänglichmachung vorliegt, wenn das Foto bereits mit Erlaubnis des Rechteinhabers online war, auf einen anderen Server kopiert und von dort erneut auf einer weiteren Internetseite hochgeladen wird, (BGH, 23.02.2017, Az. I ZR 267/15 – dort mit Abbildung des Fotos). Nachdem der EuGH nun am 07.08.2018 zum Az. C-161/17 die Vorlagefrage beantwortet hatte, ist es am BGH, das abschließende Urteil zu fällen, sofern sich die Parteien nicht vorher einigen.
Öffentliche Zugänglichmachung erfordert Publikum
Warum wird ein so kleiner Fall, der doch so klar zu beantworten scheint, zu einem Fall, der dem EuGH vorgelegt wird? Das liegt daran, dass der EuGH in Fällen, in denen Videos von Youtube per Framing auf andere Webseiten gezogen und dadurch so dargestellt werden, als wären sie originärer Teil der Webseite, entschied, dass durch das Einbetten (embedded link, img-link) keine öffentliche Zugänglichmachung stattfindet, weil keine neue Technik verwendet und kein neues Publikum angesprochen wird. Das Video ist somit auf der ursprünglichen Seite allen Internetnutzern zugänglich, EuGH, 21.10.2014, Az. C-348/13, BestWater. An der Rechtsprechung hielt das Gericht im Grundsatz auch fest, als es um das Verlinken auf rechtswidrig hochgeladene Fotos ging. Lediglich wenn der Framing-Link (eigentlich ein Image-Link) in Kenntnis der Rechtswidrigkeit und mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgt, besteht eine Nachprüfungspflicht und deren Verletzung führt zur öffentlichen Wiedergabe, EuGH, 08.09.2016, Az. C-160/15, GS Media.
Im Fall von Links auf Presseartikel hat der EuGH entschieden (sieheAz. C‑466/12 Urteilsbesprechung des Falls Svenson, Göteborgs-Posten), dass der Link zwar zu einer Wiedergabe führt, diese aber nicht öffentlich ist, weil kein neues Publikum erreicht wird, wenn der verlinkte Inhalt frei im Netz steht. Nicht frei ist der Inhalt, wenn er z.B. durch eine Paywall als Bezahlinhalt oder durch eine Session-ID geschützt ist. Diese Rechtsprechung wollte sich das beklagte Bundesland Nordrhein-Westfalen zunutze machen, indem es sie auf den Fall kopierter Fotos überträgt. Dem widersprach der EuGH.
EuGH zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe
Damit der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ erfüllt ist, muss zunächst eine Wiedergabe vorliegen, die dann auch noch öffentlich ist. Mit dem Zugänglichmachen des Fotos auf der Webseite der Schule liegt eine Wiedergabe vor. Diese ist nach der Rechtsprechung des EuGH dann öffentlich, wenn entweder ein neues technisches Verfahren zum Einsatz kommt oder ein neues Publikum erreicht wird. Da beide Male das Foto auf einer normalen Webseite abrufbar war, lag die gleiche Internettechnik zugrunde. Also kommt es auf die Frage des „neuen Publikums“ an. Und hier gibt es ein fast schon überraschend positives Ergebnis. Nachdem der EuGH bei den Framing-Fällen noch meint, dass man beim Einstellen bzw. Lizenzieren eines Fotos für eine Webseite an alle Internetnutzer als Publikum denke und folglich das theoretisch gleiche Internetpublikum auch auf der anderen Webseite das geframte Bild sehen könne, kam der Generalanwalt beim EuGH in seinen Schlussanträgen zum Ergebnis, dass kein neues Publikum erreicht wird und somit keine öffentliche Wiedergabe vorliegt, also auch keine Urheberrechtsverletzung, Schlussanträge vom 25.04.2018, Az. 161/17.
Das Kopieren als öffentliche Wiedergabe
Dies sah der EuGH bei kopierten Fotos erfreulicherweise aus Sicht der Urheber und zurecht jedoch anders. Der EuGH führt hierzu mehrere Gründe an: Das Verbotsrecht des Urhebers bzgl. Vervielfältigungen und öffentliche Wiedergabe, mit dem er auch steuern kann, auf welcher Webseite seine Fotos veröffentlicht werden, liefe leer, wenn man das Kopieren nicht als öffentliche Wiedergabe einordnen würde. Außerdem würde sonst mit dem einmaligen Einstellen eines Fotos auf einer Webseite das Recht der öffentlichen Wiedergabe verbraucht (juristisch: erschöpft) sein, was die EU-Urheberrechtsrichtlinie ausdrücklich so nicht vorsieht. Auch können durch die Auffassung, dass keine öffentliche Wiedergabe vorläge, dem Urheber keine angemessene Vergütung für jede Nutzung seines Werkes gesichert werden. Zudem habe der Urheber bei der Lizenzierung des Fotos an das Reiseportal nicht an die Nutzer der Webseite der Schule gedacht, so dass ein anderes, also neues Publikum vorliegt. Dass das Foto auf der Webseite des Reiseportals nicht technisch geschützt war, lässt das Recht der öffentlichen Wiedergabe nicht entfallen, da dieses Recht nicht an die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten geknüpft ist. Die Rechtsprechung aus den Framing-Urteilen Svensson und BestWater kann nicht auf den vorliegenden Fall angewendet werden. Der Hyperlink auf ein Image bietet dem Webseitenbetreiber noch immer die technische Möglichkeit, das Original auf seiner Webseite zu entfernen, so dass der Image-Link ins Leere läuft – oder, was der EuGH nicht ansprach – ein anderes Bild auszuliefern.
Urheberrechtswissenschaftsgesetz
Gegen das Ergebnis, im vorliegenden Fall eine öffentliche Wiedergabe anzunehmen, spreche auch nicht die Tatsache, dass das Foto in einem Schülerreferat genutzt wurde. Das Recht auf Bildung, Informations- und Meinungsfreiheit werde dadurch nicht eingeschränkt. Der Nationalstaat habe die Möglichkeit, Ausnahmen von diesem Recht für Nutzungen, die ausschließlich zur Veranschaulichung im Unterricht oder zur wissenschaftlichen Forschung dienten, vorzusehen. Dies ist in Deutschland gerade in recht umfassender Weise durch das Urheberrechtswissenschaftsgesetz erfolgt. Aber auch daraus ergibt sich nicht das Recht, das Foto auf der Schulwebseite jedermann öffentlich zugänglich zu machen.
Der EuGH kam also zum Schluss, dass durch das Hochladen des kopierten Fotos eine Urheberrechtsverletzung in Form der öffentlichen Wiedergabe vorlag. Das ist einerseits erfreulich, da zumindest in diesen Fällen sich Urheberrechtsverletzungen weiterhin verfolgen lassen. Andererseits bleibt der EuGH mit seiner Argumentation zum Verbotsrecht, der angemessenen Vergütung, der auf die lizenzierte Webseite bezogenen Öffentlichkeit etc., die sehr gut auch auf Fälle des Framings bzw. Image-Links angewendet werden könnte, auf halber Strecke stehen. Der EuGH gebietet dadurch der kostenfreien Selbstbedienung bei Fotos auf anderen Webseiten per Link leider keinen Einhalt. Das Argument, man habe es technisch in der Hand, das verlinkte Bild zu entfernen, ist zu schwach, um diesen erheblichen Unterschied im Ergebnis zu rechtfertigen, der zu einem jährlichen Lizenzschaden von ca. 76 Mio. Euro in Deutschland führt.
David Seiler, Rechtsanwalt, Datenschutzbeauftragter, Lehrbeauftragter IT-Security Law
Cottbus, den 27.08.2018